MISSODIA, HYMNODIA, EULOGODIA, MEGALYNODIA – lateinische liturgische Gesänge

Musikalische Werke (4)

Vorbemerkung

Man vergisst heute leicht, dass die Reformation lediglich Auswüchse der Kirche (z. B. Ablass, Heiligenkult, Zölibat) abschaffen wollte. Gewachsene Traditionen, sofern sie mit der Bibel vereinbar waren, wurden beibehalten. Dazu gehörte auch die reiche liturgische musikalische Tradition mit ihren vielfältigen Formen lateinischer gregorianischer Gesänge, die im Laufe des Kirchenjahres ständig wechselten. Psalmen wurden nach verschiedenen Psalmtönen psalmodiert und hatten wechselnde Antiphone, für das Kyrie eleison gab es unterschiedliche Melodien, je nach Sonntag oder Festtag, im täglichen Vespergottesdienst sang man das Magnificat und wechselnde Hymnen. Ausgeführt wurden diese Gesänge vom Kantor und seinen Knaben, die dieser in der Lateinschule in der täglichen Singstunde schulte.

 

Lucas Lossius, Psalmodia (1553) Titelblatt, Quelle: Digitalisat Bayerische Staatsbibliothek  München, Res/2 Liturg. 352

Für diese benötigten Gesänge gab es gedruckte Sammlungen. Weit verbreitet und in mehreren Auflagen erschienen war die Psalmodia von Lucas Lossius, eine „Auswahl liturgischer Gesänge der alten Kirche“, die inzwischen digitalisiert veröffentlicht ist.

Zum Gebrauch bei Hofe, wo für die Gottesdienste in der Schlosskapelle eine Hokapelle zur Verfügung stand, wurde für die zahlreichen festlichen Anlässe für den lateinischen Gottesdienst mehrstimmige Musik gewünscht. Das ist wohl der Grund, dass Michael Praetorius zahlreiche Stücke aus der Sammlung Lossius mehrstimmig vertonte. So entstanden vier umfangreiche Sammlungen lateinischer liturgischer Kompositionen.

____________________________________________

MISSODIA SIONIA (1611)

Liturgische Stücke der lateinischen Messe

[GESAMTAUSGABE BAND 11]

 

MISSODIA SIONIA Titelblatt, Quelle: GA Band 11 S. V

Freie Übersetzung des Titels:

MISSODIA SIONIA

Die liturgischen Gesänge des Hauptgottesdienstes

Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei, die Einsetzungsworte Jesu, Grußformeln und verschiedene Amen

vertont für zwei- bis achtstimmigen Chor [vokal/instrumental] oder Orgel unter Verwendung der [gregorianischen] Choralmelodien

von Michaël Prætorius Creutzbergensis, Braunschw. Hofkapellmeister, Wolfenbüttel 1611

—————————–

Die Missodia Sionia ist eine Sammlung von zwei- bis achtstimmige Tonsätze über alle liturgischen Melodien, die zu Praetorius’ Zeit im evangelischen Hauptgottesdienst gesungen wurden. Sie wechselten häufig im Laufe des Kirchenjahres. Praetorius berücksichtigt in seinen Kompositionen sowohl die verschiedenen liturgischen Melodieformeln als auch unterschiedliche Fähigkeiten einer Kantorei bzw. Hofkapelle. Er bietet zu vielen liturgischen Stücken kürzere oder längere Vertonungen an, sowohl in schlichter Vierstimmigkeit als auch in kunstvoller Sechs- bis Achtstimmigkeit, und ermöglicht es, eine lateinische lutherische Messe in allen liturgischen Teilen mehrstimmig musikalisch zu gestalten.

Das Inhaltsverzeichnis in vollständiger oder in zusammengefasster Form vermittelt einen Eindruck der liturgischen und musikalischen Vielfalt.

_________________________________________________

 

HYMNODIA SIONIA (1611)

lateinische Hymnen

[GESAMTAUSGABE BAND 12]

 

HYMNODIA SIONIA Titelblatt, Quelle:  GA Bd. 12 S. V

Dem Titelblatt ist zu entnehmen:

Die HYMNODIA enthält 24 sacrale Hymnen, ausgewählt nach den kirchlichen Gedenktagen, vertont unter besonderer Beachtung der [gregorianischen] Choralmelodie zu 2 bis 8 Stimmen. Sie sind so kunstgerecht gesetzt, dass sie sowohl vom [vokal/instrumentral besetzten] Chor als auch von der Orgel ausgeführt werden können, auch an Stelle von Motetten.

Komponiert von Michaël Prætorius Creutzbergensis, Braunschw. Hofkapellmeister, Wolfenbüttel 1611

—————————

Melodie und Text der Hymnen hat Praetorius der Psalmodia von Lucas Lossius entnommen. In kunstvollem kontrapunktischem Stil, z. T. mit kanonischer Stimmführung, sind von jedem Hymnus mehrere Strophen zwei- bis achtstimmig vertont. Sechs Hymnen enthalten Strophen „pro organico“ (Orgelstrophen).

Lucas Lossius Psalmodia (1553), Responsorium (Schluss) und Hymnus „Veni redemptor“, Quelle: Digitalisat Bayerische Staatsbiblipthek  München, Res/2 Liturg. 352

Michael  Praetorius,  „Veni  redemptor“  à 4 und à 3 (teilw.), Quelle: GA Band 12 S. 1

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Sammlung enthält insgesamt 145 Sätze (siehe Inhaltsverzeichnis zusammengefasst oder vollständig). Einige Einspielungen liegen vor: Hymnus XIII Vita Sanctorum decus angelorum ( CD 10 Michaelis-Vesper ), Hymnus I Veni redemptor genitum, Hymnus II Conditor alme siderum und Hymnus III A solis ortu cardine ( CD 11 Puer natus ), alle Orgelstrophen (CDs O-1 Baumgratz, ges. Orgelwerk und O-2 Ablitzer pro organico )

___________________________________________________

EULOGODIA SIONIA (1611)

Benedicamus, Salve Regina

[GESAMTAUSGABE BAND 13]

 

EULOGODIA SIONIA Titelblatt Quelle: GA Band 13 S. V

Dem Titelblatt ist zu entnehmen:
Die EVLOGODIA enthält sakrale Gesänge zur Entlassung am Schluss des Gottesdienstes:

Verschiedene Benedicamus, Gesänge der Komplet: Regina cœli und Salve Regina, verändert in Lætemur in Christo, Rex Christe omnes in te lætamur und Salve Rex noster.

Die Sakralgesänge sind unter Beachtung der [gregorianischen] Choralmelodien so kunstgerecht für 2 bis 8 Stimmen gesetzt, dass sie sowohl vom [vokal/instrumentral besetzten] Chor als auch von der Orgel ausgeführt werden können, auch an Stelle von Motetten.

Komponiert von Michaël Prætorius Creutzbergensis, Braunschw. Hofkapellmeister, Wolfenbüttel 1611

———————————————

Die EULOGODIA enthält 45 zwei- bis sechstimmigen Benedicamus- und Deodicamus-Vertonungen für wechselnde Sonn- und Feiertage des Kirchenjahrs, sowie einige Sätze zu lateinischen Weihnachtsliedern. Für das Nachtgebet (Komplet) hat Praetorius „korrigierte“ Mariengesänge vertont: Laetemur in Christo (verändertes Regina Coeli) und Salve Rex (verändertes Salve Regina). Siehe: Inhaltsverzeichnis. Eingespielt sind Benedicamus Nr. XXXIV à 6 und Salve Rex à 4 und à 8 ( CD 12 Capella de laTorre ).

______________________________________________

MEGALYNODIA SIONIA (1611)

Magnificatvertonungen

[GESAMTAUSGABE BAND 14]

 

MEGALYNODIA SIONIA Titelblatt Quelle: GA Band 14 S. V

Dem Titelblatt ist zu entnehmen:

Die MEGALYNODIA SIONIA ist eine Sammlung von Vertonungen des Lobgesangs der Maria, des Magnificats, zu 5, 6 und 8 Stimmen. E i n e Magnificatvertonung beruht auf der Tonfolge Ut Re Mi Fa Sol La [g a h c d e], a n d e r e haben Madrigale oder Motetten als Vorlage, z w e i sind freie motettische Kompositionen. In einige Vertonungen sind deutsche Lieder zu Christi Geburt oder Auferstehung eingefügt.

Der Komponist ist Michaël Prætorius Creutzbergensis, Kapellmeister am Hofe zu Braunschweig und Lüneburg. Gedruckt wurden die Stimmbücher 1611 in Wolfenbüttel.

————————————-

Es handelt sich also zumeist um Parodie-Kompositionen, d. h. Praetorius hat ein Madrigal oder eine Motette als Vorlage genommen und sie weitergeführt. Dem Magnificat super Surrexit Pastor bonus z. B. liegt die Motette Surrexit pastor bonus von Orlando di Lasso zugrunde.

 

Michael Praetorius, Magnificat super Surrexit Pastor bonus (Anfang), Quelle: GA Band 14 S. 17

 

Orlando di Lasso, Surrexit pastor bonus (Anfang), Quelle: Magnum opus musicum, lateinische Gesänge für 2,3, … und 12 Stimmen, Breitkpf & Härtel, Leipzig 1895 S. 57

Die Magnificat-Vertonungen 1. bis 11. sind so angelegt, dass alternierend ein Vers von einem Vorsänger und der nächste mehrstimmig zu singen ist. Text und Melodie der einstimmigen Teile sind nicht notiert. In Nr. 12. bis 14. ist der vollständige lateinische Text vertont.

 

Inhaltsverzeichnis

Mit Angaben zu Parodievorlagen und Hinweisen auf eingefügte Liedsätze
  • 1. Magnificat super Angelus ad pastores à 5
In dieser Komposition ist die fünfstimmige Motette Angelus ad pastores ait von Orlando di Lasso verarbeitet. Zwischen den Versen werden deutsche Weihnachtslieder eingefügt, z. B. Ein Kind geborn zu Bethlehem.
  • 2. Magnificat super Ecce Maria et Sydus ex claro à 5
In dieser Vertonung sind der Beginn von Lassos Ecce Maria und Teile aus Sidus ex claro benutzt. Zwischen den Versen sind sechsmal Weihnachtslieder eingefügt, z. B. Lobt Gott ihr Christen alle gleich. Einspielung auf CD 09 Viva Voce.
  • 3. Magnificat super Surrexit Pastor bonus à 5
Dieser Komposition ist Lassos fünfstimmige Motette Surrexit pastor bonus zugrunde gelegt. Eingeschoben sind sechs Osterchoräle, z. B. Erstanden ist der heilig Christ.
  • 4. Magnificat super Cantai già lieto à 5
Diesem Magnificat ist ein sechsstimmiges Madrigal von Luca Marenzio zugrunde gelegt.
  • 5. Erstes Magnificat super Valle che de lamenti à 6
  • 6. Zweites Magnificat super Valle che de lamenti à 6
In diesen beiden Kompositionen ist das fünfstimmige Madrigal Valle che de‘ lamenti von Giaches de Wert verarbeitet worden.
  • 7. Magnificat super Dolorosi Martyr à 6
Als Vorlage diente das fünfstimmige Madrigal Dolorosi martir con Luca Marenzio (siehe Ausgabe Elsner E 14.007  bei „Noten und Aufführungsmaterial:  4) Lateinische liturgische Tonsätze“).
  • 8. Magnificat super Elle est à Vous à 6
Vorlage bisher nicht bekannt
  • 9. Magnificat super Se ‚l disse mai à 6
Vorlage bisher nicht bekannt
  • 10. Magnificat super Mentre qual viva à 6
In dieser Komposition ist das fünfstimmige Madrigal Mentre qual viva von Luca Marenzio verarbeitet.
  • 11. Magnificat super In te Domine speravi à 6
Hier liegt die sechsstimmige Motette In te Domine speravi von Orlando di Lasso zugrunde.
  • 12. Magnificat super Chorale melos Germanicum à 8
Das Magnificat wird eingeleitet durch eine bekannte deutsche „Intonation“, den Tonus peregrinus.
  • 13. Magnificat à 8
Benutzt ist die Melodie des 5. Kirchentons.
  • 14. Magnificat per omnes versus, super UT RE MI FA SOL LA meae ipsius Phantasiae à 6.
Einspielung auf CD 04 Huelgas

_________________________________________

Noten zu MISSODIA, HYMNODIA usw. siehe: Noten und Aufführungsmaterial (4) – Lateinische liturgische Tonsätze

Comments are closed.